Siebter Tag auf dem Weg – 32 km von Mos nach Pontevedra.
 

Die Nacht war weniger gut wie erhofft. Das Bett quietschte bei jeder kleinsten Bewegung und war unwahrscheinlich unbequem. In der Bar gegenüber wurde lautstark gefeiert und die Hitze tat ihr Übriges. Ich wachte ständig schweißgebadet auf und fand keine bequeme Position, in der meine Beine nicht trotz des Liegens schmerzten. Als dann irgendwann ein Hund so lautstark anfing zu bellen, dass nicht mal meine Kopfhörer es übertönen konnten und das Tier gefühlt über Stunden keine Ruhe gab, sah ich ein, dass Wiedereinschlafen trotz aller Müdigkeit zwecklos war.

Als dann um kurz nach 4 die Zeit zum Aufstehen kam kämpfte ich gegen die Müdigkeit und schleppte mich Richtung Bad um mich fertig zu machen. Mir kam ein Mädchen aus einem der anderen Zimmer entgegen, weil sie bereits das dritte mal in der Nacht brechen musste wie sie mir berichtete. Leichenblass erklärte sie mir, dass sie aus einer der Wasserquellen getrunken und dies wahrscheinlich nicht vertragen hatte. Da am Vortag eine der Duschen durch die Menge an duschenden Pilgerern übergelaufen war, hatten wir nur noch ein Bad und meine „Begeisterung“ hätte nicht größer sein können.

Während sich der Rest von uns fertig machte, dehnte ich draußen meine Beine in der Hoffnung, dass es mir beim Einlaufen hilfreich sein könnte. Felix, Astrit und Jan hatten beschlossen, sich unserer Gruppe auf dem Weg heute anzuschließen und so ging es für unsere größere Gruppe um 5 Uhr los bergauf, Richtung Pontevedra. Heute sollte die längste Strecke unseres Weges werden.

Man sagt immer Hochmut kommt vor dem Fall und ich hatte mich die letzten Tage ohne große Wehwechen außer den üblichen Muskelkater- und Anstrengungsschmerzen die Kilometer entlang gekämpft und war sehr stolz darauf.

Doch plötzlich gelangte ich, noch bevor überhaupt der zweite Kilometer gelaufen war an meine Grenze. Es ging zu Anfang eine ganze Weile nur bergauf und meine Schienbeine und Knie schmerzten schon buchstäblich bei den ersten Schritten. Irgendwann brannten meine Beine so hart und wurden so „heiß“, dass ich dachte ich würde den Berg nicht hochkommen. Ständig musste ich stehen bleiben und kurz ruhen, um den Schmerz zu beruhigen. 

Ich schluckte schnell aufkommende Tränen weg und nahm eine Schmerztablette, um die Etappe zu schaffen. Nun graute es mir richtig vor den kommenden 30 km. Jan stellte irgendwann fest, dass ich zurück fiel und spornte mich an weiter zu laufen. Ich weiß nicht ob sich meine Beine an die Schmerzen gewöhnten oder die Schmerztablette endlich zu wirken begann. Doch irgendwann waren die Schmerzen wie unterdrückt und ich konnte mit einem solchen Tempo weiterlaufen, dass ich wieder alle anderen überholte.

Der heutige Weg war undankbar. Es ging immer wieder lange und steil bergauf und immer wenn wir hofften, jetzt wird es wieder gerade, kam der nächste Hügel. Die Straßen führten uns in ein Waldgebiet, wo es nicht nur stetig bergauf ging, sondern auch der Weg immer unebener wurde und gerade Wegfläche durch Steine und Geröll ersetzt wurden.

Dennoch ging es für uns immer weiter. Wir überholten etliche andere Pilgerer und trafen die ein oder andere Bekanntschaft wieder, die eine andere Etappenplanung unternommen hatten.

Nach bergauf kommt bergab und wer denkt dass es damit besser wird, der wird eines besseren belehrt. Irgendwann fluchte René über den Weg bergab und ich antwortete, dass bergab für mich erträglich wäre, bergauf mich aber mittlerweile am A*** lecken könnte. Plötzlich drehte sich ein Pilger vor uns um und bekam einen lauten Lachanfall, der uns zeigte, dass wir hier gerade einen Deutschen überholten.

An diesem Tag stellten wir alle fest, wie stark die Finger anschwellen, da durch das ständige Herabhängen der Arme das Blut in die Hände fließt. Ich versuchte meine Hände immer zeitweilig in die Rucksackriemen zu hängen, um dagegen etwas anzugehen. Die Hitze und die Anstrengung ließen uns schwitzen, wir klebten am ganzen Körper, Gott sei dank war es neblig und die Sonne war hinter einer Wolkenwand versteckt, dennoch war es drückend schwül.

Es kam der Punkt wo ich einfach nur noch funktionierte, wo ich einfach nur weiter lief, egal wie sehr Beine und Füße schmerzten. Schweissgetränkt kam unsere Gruppe nach und nach bei einem Imbiss an, an dem wir alle einsahen, dass eine Pause nötig war. Eine kalte Cola erwies sich in diesem Moment als das Schönste auf der Welt  und wir ruhten unsere müden Beine und Füße für eine Weile aus. Es lagen noch 12 km vor uns.

Jeder von uns war stolz auf Sonja, die sich – unterstützt von René und Jan – den Berg rauf- und runterkämpfte und jeden Kilometer trotz des Knies hinter sich brachte. Ich war beeindruckt, viele hätten schon lange aufgegeben.

Ab dieser Pause nahm ich weiter Fahrt auf. Ich lief und funktionierte, funktionierte und lief, wie mechanisch. Jan und ich bildeten nun die Spitze unseres kleinen Trupps und gemeinsam liefen wir mit zum Teil mehr als 6 km/h Geschwindigkeit durch ein traumhaft schönes Waldgebiet an einem kleinen Fluss entlang und einige Zeit später in Pontevedra ein. 

Die Schmerzen des Morgens waren vergessen und ich hatte das Gefühl, ich könnte noch ein paar Kilometer weiter laufen. Ab einem gewissen Punkt verdrängt man die Schmerzen, es zählt nur der nächste Kilometer, alles andere ist egal, einen Kilometer nach dem anderen. Doch ich war den letzten Teil der Strecke stetig weitergelaufen ohne Pause denn ich wusste, wenn ich jetzt anhalte würde ich nicht weiterlaufen.

Dreimal hätten wir uns in der Stadt fast verlaufen, weil die Pfeile undeutliche Weisungen gaben doch irgendwann pausierten wir in einem Café um auf den Rest zu warten.

Bereits tags zuvor hatten wir eine Ferienwohnung gebucht, da laut Sven die Herberge grausig war – dreckig und überfüllt. Auf dem Weg waren wir an der Schlange an Pilgern vorbei gekommen, die bereits hunderte Meter weit vor den Türen warteten. Unsere Fünfergruppe bezog also ein kleines Haus mit 3 Schlafzimmern im Zentrum der Stadt und ich war noch nie so glücklich über eine saubere Dusche und Handtücher. Der Regenduschkopf war für mich purer Luxus und ich genoss es in Frottéhandtücher gewickelt auf der Couch zu sitzen und die müden Glieder auszuruhen.

Ich beschloss mich für eine Stunde hinzulegen und kuschelte mich in das wolkenweiche Bett um augenblicklich einzuschlafen. Das erste mal seit einer Woche hatte ich das Gefühl die Tiefschlafphase erreicht zu haben, als Sven mich weckte und wir (das darf man eigentlich keinem erzählen) bei Burger King unser Mittagessen holten.

Der Abend verlief ruhig, Sonja und ich gingen einkaufen, tingelten durch die Stadt und aßen ein Eis. Später setzten wir uns zu René, Chris, Felix und Jan, die in einer Bar tranken und Karten spielten.

Astrit und Caro schlossen sich uns kurz darauf an und es ging weiter in eine Bar in der Straße unseres Ferienhauses, weil auf dem nahe gelegenen Platz eine Band gerade den Soundcheck für ihr bevorstehendes Konzert machten. Wir hatten gehofft, etwas von der Musik mitzubekommen, doch die Band fing schlussendlich erst um halb 11 an zu spielen, als Sonja und ich bereits in unserer Küche saßen, noch ein bisschen erzählen und uns zum schlafengehen bereit machten.

Wie lange die Band spielte weiß ich nicht genau, sie hielt uns noch eine Weile wach, doch mit Kopfhörern in den Ohren und eingewickelt in weiche Bettlaken schaffte ich es, bald einzuschlafen.

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